Hilfe für „verwaiste“ Vogelkinder

Spät abends ein Anruf. Ein winziger Vogel wurde gefunden – auf einer asphaltierten Straße – zwischen Häusern und parkenden Autos. Er muß wohl von irgendeinem Balkon aus dem Nest gefallen sein. Der winzige Vogel war kleiner als ein Daumen und noch völlig unbefiedert. In einem Katzentransportkäfig, der von oben zu öffnen ist, habe ich ein Nest improvisiert, über dem eine kleine Schreibtischlampe mit einer 25-Watt-Birne die nötige Wärme abgeben konnte. So war alles vorbereitet, als der kleine Vogel mitten in der Nacht von der sehr engagierten Tierfreundin gebracht wurde. Sie hatte den winzigen Vogel auf Anraten eines Tierarztes mit einem Brei aus Katzenfutter gefüttert und das schien ihm über mehrere Stunden ganz gut bekommen zu sein.

Am nächsten Morgen habe ich dann aber Aufzuchtfutter für Insektenfresser besorgt, was aber für den Winzling zu Pulver gesiebt werden mußte. Dieses Pulver mit etwas Katzenfutter zu einem Brei vermischt mußte jede halbe Stunde Tag und Nacht mit einem abgeflachten Streichholz in stecknadelkopfgroßen Portionen in den winzigen weit aufgesperrten Schnabel „befördert“ werden. Nach etwa einer Woche waren dem Vogel so viele Federn gewachsen, daß er die Wärmelampe nicht mehr brauchte, und ohne Licht, war damit die Nachtfütterung beendet, und ich konnte endlich mein Schlafdefizit nachholen. Der kleine Vogel wuchs und entwickelte sich schnell und wurde zu einer lebhaften, verspielten, zutraulichen – und vor allem zu einer sehr menschenbezogenen kleinen Meise, was dieser später zum Verhängnis werden sollte.

Nach etwa 14 Tagen wurde das „Kinderbettchen“ zu klein und die kleine Meise mußte in einen größeren Käfig, in dem sie auch ein bisschen das Fliegen üben konnte, umziehen. Ein Kind gab ihr den Namen „Pinki“. Als die Meise „Pinki“ selbständig fressen konnte und begann, die für Käfigtiere üblichen – sich immer wiederholenden, stereotypen Bewegungsabläufe auszuführen, wurde es Zeit, sie frei zu lassen.
Anfangs wusste sie mit der ungewohnten Freiheit nichts anzufangen und kehrte immer wieder in den Käfig zurück. Als sie dann unternehmungslustiger wurde und sich immer weiter entfernte, hat eine Elster ihr Leben beendet.

Das war eine traurige und für mich sehr schmerzliche Erfahrung, die mich zu folgender Warnung veranlasst:
Sobald Vogelkinder soweit befiedert sind, daß sie erste Flugübungen unternehmen, landen sie sehr oft auf der Erde und können ihr Nest nicht mehr erreichen. Die kleinen Vögel sind aber nicht verlassen. Sie stehen in dauerndem Rufkontakt mit ihren Eltern und werden gefüttert. Sie sitzen nicht lange auf der Erde und lernen nach dem Vorbild der Elterntiere sehr schnell fliegen. Es ist also ein großer Fehler, solch einen kleinen Vogel „retten“ zu wollen, indem man ihn mitnimmt. Jungvögel, in menschlicher Obhut aufgezogen verhalten sich später in der Freiheit artfremd. Sie haben infolgedessen nur geringe Überlebenschancen, weil sie häufig Beutegreifern, wie beispielsweise Elstern, zum Opfer fallen. Einen kleinen Vogel großzuziehen, ist nicht das eigentliche Problem. Die Schwierigkeit ist das Auswildern, weil man den kleinen Vögeln die „Sprache“ ihrer Artgenossen und deren Erfahrung im Umgang mit den Gefahren in der Natur nicht vermitteln kann. So ein kleiner Vogel, der sich nicht an Vorbildern orientieren kann, braucht schon sehr viel Glück und mehrere „Schutzengel“ um unter den Umständen überleben zu können. Nur aus dem Nest gefallene, völlig nackte kleine Vögel – oder schon befiederte, flugunfähige, die aus dem Nest von einer Dachrinne oder von einem Balkon mitten in der Stadt im Verkehr landen ohne Möglichkeit, auf einer nahe gelegenen, geschützten Grünfläche in Rufweite der Elterntiere abgesetzt zu werden, brauchen Hilfe. Man muß sich aber darüber klar sein, daß man „die Auslese der Schöpfung und der Natur“ nicht immer nach menschlichem Ermessen und menschlichen Vorstellungen beeinflussen kann. Ein Amselnest wurde von Kindern aus dem Gebüsch genommen. – Von vier Vogel-Babys haben diesen Eingriff nur zwei überlebt. Die beiden Vogelkinder sind inzwischen erwachsen und wurden in die Freiheit entlassen. Wildvögel kann und darf man zu ihrer Sicherheit nicht für immer in einen Käfig sperren. Leben bedeutet für sie Freiheit, die man ihnen – sobald sie selbständig Futter aufnehmen können - geben muß, selbst auf die Gefahr hin, daß sie möglicherweise aufgrund unsicheren Verhaltens getötet werden.



© www.haus-und-wildtierhilfe.de

Bildergalerie


storch.gif

meise_pinky1.jpg

meise_pinky.jpg

meise_pinky3.jpg

meise_pinky4.jpg

meise_pinky5.jpg

meise_pinky6.jpg

meise_pinky7.jpg

meise_pinky8.jpg

meise_pinky9.jpg

meise_pinky10.jpg